Aging ohne kaputtmachen Teil 3: Der Zeit ein Schnippchen schlagen

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the schweinhorn
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Aging ohne kaputtmachen Teil 3: Der Zeit ein Schnippchen schlagen

#1

Beitrag von the schweinhorn » 11.03.2022, 09:22

Waren wir bis jetzt beim Imitieren von Oxidation, schauen wir uns jetzt doch mal die Beschleunigung der richtigen Oxidation näher an.
Speziell bei richtigem Messing oder anderen kupferhaltigen Teilen ist es ja ziemlich dumm, darauf mit Farben herumzuwerkeln, wenn das Material bei genügender Anregung selbst oxidieren kann. Dazu gibt es im Fachhandel diverse Mittelchen wie auch zur Brünierung von eisenhaltigen Dingen, doch Versuche meinerseits haben erbracht, daß man Messing damit innerhalb sehr kurzer Zeit zwar flächig braun bis schwarz kriegt, aber die reizvollen Zwischentöne- die unglaublicherweise den halben Regenbogen hervorbringen können- einfach unerreichbar schnell übersprungen werden. Es gibt jedoch eine kostengünstige Alternative, die den Oxidationsprozess gewaltig entschleunigt und obendrein noch dazu auf allzu gesundheitsschädliche chemische Nebeneffekte verzichtet und auch keine Sondermüllentsorgung erfordert: Handelsübliche Hühnereier.

Man nehme: nen 10er-Karton Eier und ne genügend große WIRKLICH dichte Tupperdose. Ihr ahnt sicher schon, weswegen WIRKLICH dicht keine Interpretationssache ist und auch keine Alternative zuläßt: Es entwickelt sich ein geradezu infernalischer Gestank, dessen bildhafte Beschreibung sogar Dante bei der Schilderung seiner Höllenkreise dem Leser gnädigerweise vorenthalten hat. Also ich setze bei der Öffnung der Tupperdose- die ich aus Gründen nur im Freien vornehme- meine Doppelfilter FFP3 auf und möchte jedem eine ähnliche Vorgehensweise empfehlen; und man muß nämlich auf der Suche nach schönen Zwischenergebnissen die Dose öfter mal aufmachen- einmal am Tag reicht- um zu überprüfen, wie weit die Reaktion fortgeschritten ist.

Also: die Eier hart kochen, komplett in die Tupper damit und mitsamt Schalen so klein wie möglich zertrümmern, dann die zu oxidierenden Teile drin verbuddeln oder auch nur locker drauflegen, je nachdem, wie partiell der Effekt sein soll. Ich persönlich schaue alle 1-2 Tage nach, wie weit der das Zeug ist. Warme Jahreszeiten helfen bzw. beschleunigen den Prozess beträchtlich.
Als Bilder bemüh ich u.a. nochmal meine Tattomaschinen:

Den Anker hab ich nur locker draufgelegt, damit ich da so eine Art Seepockenbewuchs imitieren konnte.
der Anker war vorsichtig reingepackt und nur mit Eipartikeln besprenkelt, um dann möglichst bewegunslos aufm Fensterbrett zu reifen. In Natura irisiert der auch ein wenig, nur der Klarlack verhindert ein gutes Foto davon.
der Anker war vorsichtig reingepackt und nur mit Eipartikeln besprenkelt, um dann möglichst bewegunslos aufm Fensterbrett zu reifen. In Natura irisiert der auch ein wenig, nur der Klarlack verhindert ein gutes Foto davon.

wenn wir gerade dabei sind: die "Ankertaurollen" entstanden aus der berühmten weiße McGyver-Plastikstrippe und wurden via Trockenbürsten zu glaubwürdigem laufenden Gut.
wenn wir gerade dabei sind: die "Ankertaurollen" entstanden aus der berühmten weiße McGyver-Plastikstrippe und wurden via Trockenbürsten zu glaubwürdigem laufenden Gut.


Den Trojan-Helm hab ich relativ früh rausgezogen, da der recht flott von Blau über Türkis bis zu Rottönen das ganze Farbspektrum abgekriegt hat, was auf den Fotos leider nur unzureichend eingefangen wird, zumal die Maschinen alle matt überlackiert sind.
leider lassen sich die dezenten Blau- und Grüntöne nicht anständig ablichten, die Rot- und Brauntöne hingegen schon.
leider lassen sich die dezenten Blau- und Grüntöne nicht anständig ablichten, die Rot- und Brauntöne hingegen schon.
Den Totenkopf hab ich so lange wie ging dringelassen, ca. ne Woche, weil ich da kräftige Brauntöne haben wollte und vor dem Lackieren, hab ich die Highlights vorsichtig wieder rausgeputzt, also das Messing z.T. wieder herausgearbeitet. Geht vorsichtig mit Zeug wie Sidol, Schliff funktioniert auch, aber sachte mit hoher Körnung, besser Stahlwolle 000, im Prinzip wie Negativtrockenbürsten.
lange gereift, vorsichtig poliert.
lange gereift, vorsichtig poliert.
Bei den Lampenarmen des Steampunk-Ventilampors hab ich die Kupferrohrteile in nicht ganz so kleingestampfte Eier gelegt, damit es schön unregelmäßig wird und ich hab das Zeug rausgezogen, bevor es grün wurde, weil es mir mit den unterschiedlichen Rot- und Brauntönen sehr gut gefiel. Und ich natürlich zu ungeduldig war, da echter Grünspan einfach mal richtig lange dauert.
Kupferfitting als schwenkbare Lampenarme nach ca. 3 Tagen Eierbad.
Kupferfitting als schwenkbare Lampenarme nach ca. 3 Tagen Eierbad.


Der Steampunkventilampor. Hängt direkt über meinem Schreibtischstuhl und ist im Hochsommer dank eines kräftigen 3-Flügellüfters eine geradezu paradiesische Vorrichtung. Das einzige Echtkupfer sind die Lampenarme, der Rest ist von Eisen über Alu sowie Plastik bis zum Papprohr mit den in Teil 2 beschriebenen Faketechniken hergestellt. Auf Fake-Grünspan hab ich hier verzichtet, da ich die Lampenarme sonst ewig- für echten Grünspan- hätte reifen lassen müssen und die Rot-Braunmelange auch sehr chic ist.<br />das Klokettchen betätigt den Ventilator, das Schutzgitter ist ein Kuchenkühlgestell, die Lampen sind alle einzeln mit den in Teil 2 erwähnten Conrad-Kippschaltern aktivierbar.
Der Steampunkventilampor. Hängt direkt über meinem Schreibtischstuhl und ist im Hochsommer dank eines kräftigen 3-Flügellüfters eine geradezu paradiesische Vorrichtung. Das einzige Echtkupfer sind die Lampenarme, der Rest ist von Eisen über Alu sowie Plastik bis zum Papprohr mit den in Teil 2 beschriebenen Faketechniken hergestellt. Auf Fake-Grünspan hab ich hier verzichtet, da ich die Lampenarme sonst ewig- für echten Grünspan- hätte reifen lassen müssen und die Rot-Braunmelange auch sehr chic ist.
das Klokettchen betätigt den Ventilator, das Schutzgitter ist ein Kuchenkühlgestell, die Lampen sind alle einzeln mit den in Teil 2 erwähnten Conrad-Kippschaltern aktivierbar.








Wenn ich mir demnächst mal diesen kraß verstümmelten ThroughNeckShortscale vorknöpfe, werd ich vermutlich die Bridge aus Messing auch mal wieder selbst bauen und da werden einige Hühnermenstruationsprodukte zum Einsatz kommen.
Eisenteile sehen übrigens auch besser aus, wenn man sie mehrmals kräftig erhitzt und dann in Öl wirft. Im Gegensatz zu ner Brünierschmiere- oder sauce, die einfach alles gleichmäßig einfärbt, hat man hier auch sehr oft wunderschön irisierende Effekte quer durch gesamte Farbspektrum.

In jedem Fall muß man alles hinterher überlackieren, sonst grabbelt sich die schöne Patina mit der Zeit ab.

Wichtigstes Tool für den kompletten Herstellungsprozeß:

der passende Atemschutz.
der passende Atemschutz.
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Re: Aging ohne kaputtmachen Teil 3: Der Zeit ein Schnippchen schlagen

#2

Beitrag von Janis » 11.03.2022, 10:03

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Re: Aging ohne kaputtmachen Teil 3: Der Zeit ein Schnippchen schlagen

#3

Beitrag von micha70 » 11.03.2022, 10:51

Mit Eiern, Senf, Essigessenz, Backpulver und so nem Zeug kann man schöne Sachen anstellen wie in einem kleinen Experiment von nem Singlecoil (auf Kupfer). Funzt daher auch auf Messing
05C1D64C-D209-4821-807D-5F0DB5C557D0.jpeg
4C0C218D-4666-48F3-BCA0-756704C3A078.jpeg
Hat jetzt nix direkt mit Aging zu tun ist meiner Meinung nach nur in jedem Fall dekorativ. Bei den Dampfern findet man auch einiges an Anregungen.

LG
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Re: Aging ohne kaputtmachen Teil 3: Der Zeit ein Schnippchen schlagen

#4

Beitrag von the schweinhorn » 11.03.2022, 11:12

Schöne Effekte, jetzt müßte man nur noch damit real malen können, aber um zeitnah Ergebnisse zu sehen, geht das alles halt lieder wieder zu langsam.

Bis jetzt hab ich leider nix brauchbares zum Echtaltern von Alu gefunden; da ich gerne mal Pickguards u.ä. aus Trittblech, also sowas:
Bild_2022-03-11_110116.png
mache und das meistens so grauenhaft glänzt, wenn es neu ist- und auch nach Ewigkeiten nicht damit aufhört, solang man's nicht dauernd mit Füßen tritt- taugt das nur zur Veredelung von z.B. schwarzen Gitarren und leider nicht zur Vertrashung von z.B. Dieselpunk-MadMax-Style Instrumenten taugt, von denen ich zeitnah 2 Exemplare teilherstellen will/muß.

Hat da wer ne Idee, wie man das Zeug- also Alu- künstlich "reifen lassen kann? Vergraben hilft schon mal nicht, das glänzte mich auch nach nem Monat noch boshaft an. Essigessenz, Eier, Backofenspray ist auch alles nicht zufriedenstellend...
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Re: Aging ohne kaputtmachen Teil 3: Der Zeit ein Schnippchen schlagen

#5

Beitrag von Janis » 11.03.2022, 11:23

Galvanische Korrosion mit einem edleren Metall in feuchter Umgebung.

Edit: Das Alu darf natürlich nicht verchromt sein
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Re: Aging ohne kaputtmachen Teil 3: Der Zeit ein Schnippchen schlagen

#6

Beitrag von the schweinhorn » 11.03.2022, 12:05

Ah ja, die kann ja sogar in Legierungen selbst auftreten, siehe auch die berühmte interkristalline Korrosion- ich frage mich jedoch, ob das nur auf die Riffel oder auch in die Tiefe geht, wenn man da jetzt ne Stahlplatte draufpackt und mit reichlich Salz im Wasser nen Ozean imitiert und das vor sich hingären läßt, da das ja eigentich direkten Kontakt voraussetzt- wenn ich in der Schule richtig aufgepaßt hab, Anno Tobak...
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Re: Aging ohne kaputtmachen Teil 3: Der Zeit ein Schnippchen schlagen

#7

Beitrag von Janis » 11.03.2022, 12:11

Stahlwolle drauflegen und mit einem Brett verzwingen wäre mein Vorschlag. Dann haben auch die tieferen Stellen Kontakt.
Und wie gesagt, das Alu sollte roh sein!

PS: kennst du diesen Video?
https://www.youtube.com/watch?v=yhtryDPPOqM
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Re: Aging ohne kaputtmachen Teil 3: Der Zeit ein Schnippchen schlagen

#8

Beitrag von the schweinhorn » 11.03.2022, 13:20

kannt ich noch nicht, sieht ziemlich scharf aus.
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