So dann wollen wir mal dem ganzen Rätselraten ein Ende setzen:
Zunächst einmal finde ich es interessant, wie hier aufgrund von ein paar Fotos bzw. in den Raum geworfenen Bezeichnungen Beurteilungen abgegeben werden. Wie der ein oder andere vielleicht weiß, baue ich nicht nur Gitarren, sondern repariere sie auch. Häufig treten Menschen per Telefon an mich heran und wollen eine Ferndiagnose. Auf so etwas lasse ich mich
nie ein! Für mich ist es unabdingbar, dass ich das Instrument, das ich reparieren oder beurteilen soll, vor mir habe.
Zurück zu der STOLL Primera mit der Seriennummer 1425:
Ja, es handelt sich um eine echte STOLL. Und ja, sie wurde von einem meiner Stützpunkthändler mit dem Hinweis auf die hohe Klangqualität aufgrund des Bläuepilzes angeboten. NICHT jedoch wurde hier ein "verkaufsförderndes Argument" eingesetzt, um minderwertige Ware an den Mann zu bringen. So etwas haben weder ich, noch meine Stützpunkthändler nötig.
Das Konzept der Primera ist es, klanglich einwandfreie Hölzer mit manchmal optischen Eigenheiten zum Nutzen des Kunden zu preisgünstigen vollmassiven Gitarren zu verbauen. Die Klangeigenschaften der Primera findet man nicht noch einmal in dieser Preisklasse, vorausgesetzt man vergleicht nicht Äpfel und Birnen.
Bei der Primera handelt es sich um eine in Deutschland handgebaute vollmassive Gitarre, weshalb ein Vergleich mit einer Fabrikgitarre made in China oder Taiwan oder einem sonstigen Billiglohnland wie z.B. die weiter oben erwähnte hinfällig ist. Zumal der stolze Besitzer die Mängel dieses Instruments ja schon gleich selbst benennt.
Auf meinen Gitarren kann man sofort spielen und muss nicht erst "einige Jahre" warten und einen "neckreset" machen.
Ehrlich gesagt, halte ich es für wenig zielführend, eine klanglich hochwertige Decke mit optischem Makel in eine Gitarre der Oberklasse einzubauen und dann nach der Fertigstellung zu konstatieren, hoppla, die hat ja einen Pilz auf der Decke, na da machen wir die doch ein bisschen billiger.
Es ist ja nicht so, dass wir irgendeinen Mangel an optisch einwandfreien Decken hätten. Die hochwertigen dieser Art verbauen wir auch lieber in hochwertigen Instrumenten, da ich davon ausgehe, dass ein Kunde, der sich für eine höherwertige Gitarre entscheidet, auch eine optisch einwandfreie Gitarre möchte.
Deswegen halte ich es für viel klüger und kundenfreundlicher, eine Decke, die klanglich der Oberklasse entspricht, aber einen optischen Makel aufweist, in eine Gitarre der Einsteigerklasse zu bauen. Der Kunde erhält dadurch klanglich einen Mehrwert, weshalb der reguläre Preis von 690,- € nicht nur angemessen, sondern günstig ist. Wenn der Kunde das nicht zu schätzen weiß oder nicht beurteilen kann, sollte er sich an eine Primera mit einer Decke der Einsteigerklasse ohne optische Mängel halten.
Diese Entscheidung sollte allerdings vor dem Kauf getroffen werden.
Zum Bläuepilz
In diesem Zeitungsartikel (
http://www.empa.ch/plugin/template/empa/*/115209 ) über Prof. Dr. Schwarze ist ganz allgemein die Rede von Pilzen, im Wikipedia-Eintrag "Bläue" (
http://de.wikipedia.org/wiki/Bl%C3%A4ue ) steht dieselbe Aussage, die auch Prof. Dr. Schwarze bezüglich der von ihm getesteten Pilzarten gemacht hat, nämlich dass Bläuepilze kein Holz abbauen, weil ihnen dazu die Enzyme fehlen. Sie ernähren sich von den Zellinhaltsstoffen und verringern so die Rohdichte, die Stabilität wird dadurch nicht geschädigt. Und genau das ist der springende Punkt. Wenn ich eins und eins zusammenzähle, erkenne ich, dass Prof. Dr. Schwarze an anderen Pilzsorten genau das getestet hat, was auf Wikipedia auch über den Bläuepilz ausgesagt wird und was das
Wichtigste ist, dass dies meinen Erfahrungen aus den letzten 35 Jahren und dem Bau von über 1000 Gitarren entspricht.
Sie sollten die Antwort von Herrn Prof. Dr. Schwarze also genau als das nehmen, was sie ist. Ihm sind keine wissenschaftlichen Studien über Bläupilze
bekannt. Das bedeutet nicht, dass sie nicht die selben Eigenschaften haben können. Deshalb sollte auch niemand voreilig den Umkehrschluss ziehen, Prof. Dr. Schwarze sind keine Untersuchungen bekannt, also haben Bläuepilze auch keine besonderen Eigenschaften. Dies wäre höchst unwissenschaftlich, würde weiterhin mich und meinen Stützpunkthändler in eine Reihe mit Jahrmarktsgauklern stellen, und ist sicherlich ein Effekt, den hier niemand will. Auch würde ich mir einen bedachteren Umgang wünschen mit Formulierungen wie " Fehler ", "unverschämter Verkäufer", "Frechheit", "ordinärer Stockpilz", "minderwertig", "Klangpilzlegende", "Märchen" sowie vagen Quellenangaben. Ich habe in der Schule gelernt, dass man alle Behauptungen, die man in einem Aufsatz aufstellt, mit ordentlichen Quellenangaben belegen muss, sonst gibt es eine 6.
Demjenigen, der über meinen "künstlerischen Zenith" Mutmaßungen anstellt, sei gesagt: Der legendäre Akustikbass (das ist die korrekte Bezeichnung) ist keineswegs ein ausgestorbener Dinosaurier aus den späten 1980er Jahren, sondern erfreut sich größter Beliebtheit. Er hat gerade ein, wie man so schön sagt, update erhalten und ist jetzt unter dem Namen IQ Bass auch mit einem Multiscale Griffbrett erhältlich. Der Testbericht dazu erscheint in Gitarre & Bass am 15. Mai 2013.
Noch ein Wort zur Wissenschaft: Ich verwende bestimmte Hölzer nicht, weil Professor soundso dies und das gesagt hat, sondern aufgrund meiner Erfahrungen, auf die ich mich 100% verlassen kann.
Dieser Erfahrungsschatz ermöglicht mir, Hölzer sicher aufgrund von Besehen, Biegen und Abklopfen beurteilen zu können. Weiter ermöglicht er mir, auch "schwierige" Hölzer verbauen zu können. Deshalb sind die so genannten "Äste", von denen der Größte wohlgemerkt einen Durchmesser von ca. 6 mm hat, für mich kein Problem beim Biegen. Ich lade alle Threadteilnehmer oder -leser zu Anschauungszwecken in meine Werkstatt ein.
Zum Abschluss möchte ich Mikhail Naimy zitieren: "Denke so, als ob jeder deiner Gedanken in flammenden Buchstaben an den Himmel geschrieben wäre, so dass jedermann es lesen könnte. Sprich so, als ob die ganze Welt nur ein einziges Ohr hätte, das begierig wäre, nur auf dich zu hören. Handle so, als ob die Folgen deiner Taten auf dich zurückfielen. " (Naimy, Mikhail: "Das Buch des Mirdad", Rozekruis Pers 1986)
Er hätte sich wohl nie träumen lassen, dass man dieses Zitat einmal auf ein Internet-Forum anwenden würde.
Christian Stoll